Leben & ToD in der Steppe

Mongolei Juli 2018

In der mongolischen Steppe war der Tod schon immer normal, das Leben schon immer ein Kampf – Dschingis Kahn lässt grüssen – aber muss es heute wirklich immer noch so sein? 

 

Zwei Vögel fliegen vor uns über die Strasse, einer trifft eine falsche Entscheidung und knallt Sekunden später an unser Solarpanel. Im Seitenspiegel sehen wir ihn einen Salto schlagen und auf den Teer aufprallen. Wir fahren die paar Meter zurück. Das kleine Tier liegt leblos auf dem heissen Teer, die zerbrechlichen Füsschen gegen den Himmel gereckt. Der Tenger, der Himmel, er nimmt und gibt. Heute ist er tiefblau, darüber verstreut hunderte von Wolken, wie die Schafe in der Steppe streunen sie ohne Plan über uns dahin. Wir sind unterwegs auf der Hauptstrasse von Ost nach West, genauer gesagt zwischen Altai und Khovd und die einzigen Schafe, die wir sehen, sind die am Himmel. Die Landschaft auf der rechten Seite der Strasse ist braun, grau, öd und doch wunderschön. Nach wenigen Kilometern zieht sie sich hoch in steile Berge, Ausläufer des Altai Gebirges. Auf der rechten Seite hat der Regen die Landschaft kürzlich auf einem schmalen Streifen grün gefärbt, dahinter zeigt sich das Spektrum der verschiedenen Brauntöne in eindrücklichem Ausmass. Alle Häuser sind verlassen, da wo am Wegesrand Schilder auf Jurten-Restaurants aufmerksam machen, ist alles leer. Was wir aber sehen sind viele tote Tiere. Schafe, Kühe, Pferde. Vor einigen Wochen, als wir im Norden der Mongolei von West nach Ost fuhren, trafen wir einen Fahrradfahrer, der damals genau diese Strecke hier zurückgelegt hatte. Er erzählte uns, dass der Gestank des Todes ihn stundenlang begleitet hätte und er mehr tote als lebende Tiere gesehen hätte. Der 94-jährige Mann, den wir zur gleichen Zeit antrafen, sagte: „Es hat diese Jahr noch nie geregnet“ und als wir bei ihnen eine Tasse Tee trinken, stürzt die ganze Familie vor den TV, um die Wetterprognosen zu sehen. Die Enttäuschung in den Gesichtern lässt uns verstehen: Es gibt immer noch keinen Regen. Dies war Anfang Juni. 

Als wir damals weiterfuhren, zogen plötzlich doch Wolken auf und es tröpfelte hie und da vom Himmel. Dann gab es ein Hagelsturm und ein Gewitter, der grosse Regen ging aber in der Ferne über den Bergen nieder. Die Steppe blieb trocken. Und wir lernten über Regentage glücklich zu sein. 

 

Die Nomaden in der Mongolei sind den Wettergöttern ausgeliefert. Nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer. Das Leben hier draussen, in dieser Weite, in dieser für uns unglaublich eindrücklichen Landschaft, ist ein ständiger Kampf ums Überleben. 

Im Winter wird es bis zu – 40 Grad kalt. Und wenn wir von Winter sprechen, dann heisst dies Oktober bis März. Die Winterstallungen, zusammengebastelt aus Steinmauern und krummen Holzlatten, scheinen kaum genügend Schutz für die Tiere zu bieten. 

Das Wetterphänomen, welches regelmässig tausende von Rinder, Schafen und Ziegen sterben lässt, ist so häufig, dass es einen Namen hat. Dzuud. Der weisse Dzuud kommt mit unverhältnismässig viel Schnee, so dass die Tiere kein Futter mehr frei scharren können und in der Kälte verhungern und erfrieren. Der schwarze Dzuud folgt im Sommer, wenn nicht genügend Regen fällt und die Tiere sich nach den entbehrungsreichen Monaten nicht vollfressen können. Wenn die Steppe schwarz bleibt und das Gefühl gibt die Sonne verbrennt alles. Wenn ein schwarzer auf einen weissen Dzuud folgt, dann ist das Ausmass umso schlimmer und viele Nomaden bleiben danach ohne Lebensgrundlage zurück. 

 

Dieses Jahr scheint es besonders hart zu sein. Während der Westen eine Dürreperiode erlebte, regnete es im Osten so stark, dass die Tiere ertranken. Und in zwei Aimags (Provinzen) ist zusätzlich die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Das Militär hat eingegriffen und entscheiden, welche Tiere leben und welche sterben müssen, damit sich die hoch ansteckende Seuche nicht im ganzen Land ausbreitet. Nur für die Aasgeier ist es ein gutes Jahr. Wir sahen sie oft, so vollgefressen, dass sie zu schwer waren, um aufzufliegen und nur träge neben den Überresten ihrer Mahlzeit sassen, darauf wartend ihre massiven Schwingen wieder in die Luft zu erheben zu können, um nach ihrem nächsten Festmahl Ausschau zu halten. 

 

Der Tod ist in der Steppe so normal, dass Tierkadaver mitten in einem Dorf nicht weggeräumt werden. Die Natur wird sich dann schon darum kümmern. Andererseits wird unter Mongolen über den Tod nicht gesprochen. Über Tote erst recht nicht. Und stirbt jemand in einer Jurte, so wird er nicht zur Türe hinausgetragen, sondern unter dem Scherengitter hindurch geschoben. Man will dem Tod nicht die Türe öffnen, damit er kommen und weitere Leben holen kann. 

Die Schafe, die Yaks und Pferde, die draussen verdursten oder erfrieren. Sie haben keine Türe, die sie vor dem Tod verschliessen können. Aber gäbe es nicht tiefere Brunnen, bessere Winterställe, Futtervorräte, die ihr Überleben und somit dasjenige ihrer Besitzer sichern könnten? Wir fragen uns immer wieder woran es liegt, dass Innovation in diesem Land so oft aussen vor bleibt? 

 

Es ist sehr mongolisch – ich kenne das Land und die Menschen seit 15 Jahren und wage mich daher an eine Generalisierung heran, der ich leider in der Vergangenheit öfter als nicht begegnet bin – einfach zu tun, was man immer getan hat. Etwas verbessern? Wozu auch? Es hat ja immer irgendwie funktioniert. Dies liegt, so glaube ich, nicht an Faulheit (was im Übrigen von Mongolen, die im Ausland leben, ihren Landsleuten öfters attestiert wird), sondern viel eher am fehlenden Wissen, an der fehlenden Gewohnheit selbständig und „outside the box“zu denken (etwas, was man auch im heutigen immer noch sehr kommunistisch angehauchten Schulsystem der Mongolei nicht lernt), sehr wahrscheinlich auch am fehlenden Zugang zu Information und Geld.

Und an dieser mongolischen Schicksalsergebenheit, die das Vorausplanen unnötig macht und von der wir durchaus lernen können. Warum sich aufregen? Es wird dann schon. Und ja, es ist hier tatsächlich so: Der Tag wird immer anders als erwartet. Irgendwas kommt immer dazwischen. Und am Ende kommt es dann doch meistens gut. 

Meistens. Aber eben nicht immer. 

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