Als wir am Zollamt Rheinfelden ohne kontrolliert zu werden über die Brücke in Richtung Schweiz rollen, erinnert es uns an die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan: Am anderen Ende der Brücke ist ein anderes Land.
Text: Martina Zürcher Bild: Dylan Wickrama
Der Rhein trennt die Schweiz von Deutschland, etwas später Deutschland von Frankreich. Dem Fluss ist es egal, er fliesst ruhig dahin, ohne zu zögern, ohne zu hadern wohin er denn gehört. So auch der Panj, der Fluss dem wir während 250km und drei Tagen folgten. Wie hier in Rheinfelden trennt er die Region in zwei Nationen. Aber er trennt im engen Tal noch viel mehr: Frieden vom Krieg. Strenge religiöse Vorschriften von einer lockeren Einstellung zur Religion. Muslimas in Burkas von Muslimas in kurzen Röcken und ohne Kopftücher. Tadschikistan grenzt auf rund 1’370 km an Afghanistan. Die Grenze sieht grösstenteils so aus, wie wir sie selbst erlebt haben: Der Panj zieht, trotz trüben braun-grauem Wasser, eine klare Grenzlinie. Auf beiden Seiten ragen steile, beeindruckende Bergflanken in die Höhe. Auf beiden Seiten hat es, fast abwechselnd, immer wieder etwas mehr Platz, ein Felsvorsprung, der von den Menschen so gut als möglich als Anbaufläche genutzt wird. Auf beiden Seiten ist das Ufer des Flusses mal gut erreichbar, dann wieder schlängelt sich die schmale Strasse, hüben wie drüben, hoch über den Fluss durch die Felsen.
Auf beiden Seiten sehen die Häuser auf den ersten Blick gleich aus: rechteckige Lehmhäuser schmiegen sich, da wo sie Platz finden, zwischen die Felsen. Erbaut aus dem Lehm der Erde, sehen sie so aus, als wären sie aus eben dieser gewachsen. Erst der zweite Blick macht den Unterschied. Oft fehlten drüben die Strommasten und während es auf der tadschikischen Seite immer wieder Autos oder Lastwagen hatte, sahen wir auf der afghanischen Seite fast keine Autos, dafür hie und da Motorräder und Männer mit Turbanen, die zu Fuss vor kleinen Esel-Karawanen hergingen. Die Tiere waren mit grossen Körben beladen und trotteten ohne Widerrede durch den Kies.
Brücken ohne Aufgaben
Nie fuhren wir so lange einen Fluss entlang ohne eine Brücke zu sehen. Die zwei, die wir in den drei Tagen sahen, waren verriegelt, der Grenzverkehr unterbrochen. Die Brücken ohne Bedeutung. Die Kommunikation abgebrochen.
Einmal war die Distanz zum anderen Ufer fast so schmal wie der Rhein hier in Rheinfelden, das Wasser aber wild und schäumend. Wir stellten uns ans Ufer und spähten hinüber. War das wirklich Afghanistan da drüben? Das Land, welches wir praktisch nur aus den Nachrichten kennen? Als wir einen alten Mann unter einem Baum sitzen sahen, winkten wir. Er hob die Hand und winkte zurück. Ich bilde mir ein ein Lächeln gesehen zu haben. Wie muss es sich anfühlen dort auf der anderen Seite? Wo, so sagen uns die Medien, Taliban und Drogen Lords herrschen? Wie fühlt es sich an, dauernd in das andere, unerreichbare Land hinüber zu blicken?
Dann schiessen wir
An einer anderen Stelle ist der Fluss weit, aber weniger tief. Sandbänke reichten weit hinaus, wir sahen afghanische Männer, die zum Fischen auf den Sand hinauswateten. Wenig später begegneten wir einer Militär-Patrouille. Zu Fuss marschieren sie im Abstand von vielleicht 50 Meter hintereinander her, das Gewehr im Anschlag. Ungefähr fünfzehn Grenzkilometer würden sie als Einheit kontrollieren, sagte einer der tadschikischen Soldaten zu uns.
„Und wie ist die Situation?“
„Es ist ruhig, kein Problem. Die Lage ist entspannt.“
„Warum marschiert ihr dann hier auf und ab?“
Schmuggler kämen in der Nacht über den Fluss, sagte er. „Sie bringen Drogen und nehmen Alkohol mit zurück.“
„Die Fischer?" beantwortet der freundliche Soldat unsere nächste Frage, "die kennen wir, die fischen nur, die sind kein Problem.“
„Was tut ihr, wenn ihr die Schmuggler entdeckt?“
„Wir schreien ihnen zu sie sollen umkehren.“
„Und wenn sie es nicht tun?“
„Dann schiessen wir.“
Haare im Wind
Wir fragten nicht, wie oft sie den schon geschossen hätten, sondern fuhren weiter, spähten hinüber in das Leben der Anderen. Auf einer flachen Anhöhe kultivierten Bauern mit einfachen, von Rindern gezogenen Pflügen ihre Felder. Ein paar Frauen sassen im Schatten. Auch sie winkten zurück. Dann sahen wir eine Frau zwischen stufenartig angelegten Gemüsebeeten zielstrebig irgendwo hingehen. Ihr Haar wehte im Wind. Zuerst fiel es mir gar nicht auf. Erst als Dylan zu mir sagte: „Schau, sie trägt kein Kopftuch!“ realisierte ich, dass dies bei ihr, drüben im anderen Land nicht die Norm ist. Zumindest nicht die, die wir mit Afghanistan verbinden. Hier hinter den grossen Bergen, vor der Grenze des Nachbarlandes, schienen die Taliban keinen Einfluss zu haben.
Im nächsten Dorf plantschten Jungen im Fluss. Immer einer wurde an ein dickes Seil gebunden und sprang dann in die trübe Flut, während seine Freunde am Ufer entlang rannten, das Seil fest in den Händen, um ihn ein paar Meter Flussabwärts johlend wieder ans sichere Ufer zu ziehen. Aber was heisst schon sicheres Ufer, wenn man in einem Land lebt, welches seit 40 Jahren von Gewalt zerfledert wird?
Afghanistan zog in einer Art Unwirklichkeit an uns vorbei, ohne dass wir mit den Menschen in Kontakt kommen konnten, Fragen aufwerfend, auf die wir keine Antworten erhielten. Es fühlte sich an als würden wir im Kino sitzen und einen stummen Dokumentarfilm betrachten.
Einen friedlichen Dokumentarfilm.